Verfasst von Nikolaus von Twickel

Zusammenfassung

Vergangene Woche fand ein aufsehenerregendes Treffen der Separatistenführer von Luhansk und Donezk mit der ukrainischen Abgeordneten Nadja Sawtschenko statt. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand auch der Vorschlag des Donezker Separatistenführers Sachartschenko, Russland solle Großbritannien erobern. Beide Nachrichten wurden von den offiziellen Medien der „Volksrepubliken“ weitgehend ignoriert. Der Streit um Trinkwasserlieferungen nach Luhansk bleibt ungelöst.

Ausführlicher Überblick

  1. Wirbel um Treffen mit Nadja Sawtschenko

Die ukrainische Parlamentsabgeordnete und ehemalige russische Kriegsgefangene Nadja Sawtschenko teilte am 12. Dezember (Montag) überraschend mit, dass sie sich vorige Woche in Minsk mit den Anführern der „Volksrepubliken” Donezk und Luhansk getroffen hatte.

Das geheime Treffen zielte auf die Stärkung des „Minsker” Formats, sagte Sawtschenko in Kiew. Das letzte Treffen im Rahmen der in Minsk regelmäßig stattfindenden Verhandlungen der Vertreter aus der Ukraine, Russland und der OSZE mit den Separatisten fand am 7. Dezember (Mittwoch) statt. Normalerweise nehmen nicht die Chefs der „DNR” und „LNR” selbst, sondern ihre Unterhändler an den Verhandlungen der Kontaktgruppe teil.

Nach eigener Aussage traf sich Sawtschenko nicht mit der Kontaktgruppe, sondern mit den Separatistenführern Igor Plotnizkij und Alexander Sachartschenko sowie Vertretern Russlands. Die Kontaktgruppe erfuhr nach Angaben der ukrainischen Delegation von Sawtschenkos Treffen erst aus Medien.

Einzelheiten des Treffens blieben zunächst unklar. Die offiziellen Medien der Separatisten erwähnten das Treffen bis Montagabend mit keinem Wort. Plotnizkij bestätigte zu Beginn einer Sitzung seiner Führungsmannschaft am Montag, den 12. Dezember, dass das Treffen stattgefunden habe. Hauptthema sei die Freilassung von Gefangenen gewesen und in Zukunft müsse es dazu mehr Treffen mit ukrainischen Abgeordneten geben.

Die Wahrscheinlichkeit weiterer Treffen der Separatisten mit ukrainischen Abgeordneten ist wohl gering.  Mit ihrem Treffen verstieß Sawtschenko gegen die ukrainische Politik, keine offiziellen Kontakte mit den Separatisten zu unterhalten. Aus diesem Grund lässt sich Kiew bis heute bei der Minsker Kontaktgruppe nicht von Regierungsmitgliedern sondern vom ehemaligen Präsident Leonid Kutschma vertreten.

Sawtschenko, die für die Partei „Batkiwschtschyna” (Vaterland) im Parlament sitzt, bekam aus ihrer Partei keinen Rückhalt für ihren Schritt. Parteichefin Julia Tymoschenko erklärte, dass man mit Sawtschenko nichts mehr gemeinsam habe und bald über ihren Ausschluss aus der Fraktion beraten werde. Nach eigener Erklärung hatte Sawtschenko das Treffen nicht mit der Fraktion abgestimmt, weil sie vom Volk gewählt sei.

Sawtschenkos politisches Image wurde vermutlich weiter beschädigt, als bekannt wurde, dass Journalisten des TV-Senders 1+1, die sich als Vertreter Sachartschenkos ausgaben, in einem Telefonat mit Sawtschenko von ihr eine positive Reaktion auf den Vorschlag bekamen, in Kiew eine Vertretung der „Volksrepubliken” zu eröffnen.

Die ehemalige Kampfpilotin hatte sich 2014 einem Freiwilligen-Bataillon angeschlossen und war bei Luhansk in Gefangenschaft geraten. Später wurde sie nach Russland gebracht und wegen mehrfachen Mordes angeklagt. In einem umstrittenen Prozess wurde sie im März 2016 schuldig gesprochen und zwei Monate später gegen zwei in der Ukraine inhaftierte russische Soldaten ausgetauscht.

Die zur Volksheldin stilisierte Sawtschenko wurde in Abwesenheit von der Partei „Batkiwschtschyna“ für die Parlamentswahl nominiert und im Oktober 2014 in die Rada gewählt.

  1. Wirbel um Interview mit Sachartschenko

Der Donezker Separatistenchef Alexander Sachartschenko machte unterdessen mit einem Interview Schlagzeilen, in dem er vorschlug, Russland solle London erobern.

„Ich rede gar nicht von Kiew, und wir müssen auch nicht Berlin einnehmen. Wir müssen weiter und Britannien erobern. Denn das Übel unseres Schicksals als Russen sind die Angelsachsen“. Erst wenn Großbritannien eingenommen sei, könne das „Goldene Zeitalter Russlands” beginnen, sagte Sachartschenko in einem am 6. Dezember (Dienstag) veröffentlichten TV-Interview des russischen Schriftstellers Sachar Prilepin.

Des Weiteren sprach sich Sachartschenko für die Eroberung  ehemaliger Territorien des russischen Reiches aus.

Manfred Quiring, langjähriger Moskau-Korrespondent der „Welt”, stellt Sachartschenkos Aussagen in Zusammenhang mit Forderungen russischer Nationalisten wie Alexander Dugin nach einem russisch geführten Protektorat über ganz Europa: „Dugin schwebt eine Art byzantinischer Staat vor, in dem Russland mit einem Zaren an der Spitze das Protektorat über den europäischen Kontinent ausübt.”

Das Sachartschenko-Interview, dass im ultrakonservativen russische TV-Sender Tsargrad erschien, wurde auch von der “Frankfurter Allgememeinen Zeitung” aufgegriffen, fand aber in den offiziellen Medien der „Volksrepublik” Donezk keine Erwähnung.

Stattdessen verbreitete die offizielle „DNR“-Nachrichtenagentur „DAN” am 6. Dezember eine Erklärung, in der Sachartschenko von der Ukraine ein Ende der Wirtschaftsblockade der Separatistenrepubliken fordert.

Am Montag wurde bekannt, dass Sachartschenko und einige weitere offizielle „DNR“-Vertreter am Wochenende in Moskau das 20-jährige Bestehen einer Donbass-Landsmannschaft  („Zemlyatschestwo Donbassa“) feierte. „DAN” berichtete darüber nicht; in einer offiziellen Mitteilung auf der „DNR”-Website wird nicht erwähnt, dass die Veranstaltung in Moskau stattfand.

  1. Was der Trinkwasserstreit um Luhansk mit dem Stabschef von Sachartschenko zu tun hat

Wegen des ungelösten Streits mit der Ukraine um unbezahlte Rechnungen blieb das Trinkwasser in Teilen der von Separatisten kontrollierten Stadt Luhansk auch vergangene Woche rationiert. Der Chefunterhändler der „Volksrepublik” Luhansk („LNR”), Wladislaw Deinego betonte am 9. Dezember (Freitag), dass es nicht am Geld oder mangelndem Zahlungswillen der Separatisten liegt. „Das Geld ist da, aber es gibt keinen Mechanismus, dieses Geld zu überweisen, und die Ukraine tut alles, dass das so bleibt,” sagte er laut der offiziellen Nachrichtenseite lug-info.com.

Die Ukraine hatte zum 1. Dezember die Wasserzufuhr in die von den Separatisten kontrollierte Stadt Luhansk gedrosselt, weil Stromrechnungen für zwei auf regierungskontrolliertem Gebiet gelegenen Pumpstationen nicht bezahlt worden waren (s. Newsletter Nr. 10 und 9).

Eine Voraussetzung zur Beilegung des Streits ist laut Deinego, dass die Arbeitsgruppe Wirtschaft der Minsker Kontaktgruppe ihre Arbeit aufnimmt. Deinego sagte, er hoffe, dass dies bei der kommenden Verhandlungsrunde am 21. Dezember endlich geschieht.

Kiew blockiert seit September die Zusammenkunft der Arbeitsgruppe Wirtschaft, weil die „Volksrepublik” Donezk Maxim Leschtschenko – den Stabschef ihres Anführers Alexander Sachartschenko – als  Vertreter von „DNR“ genannt hat.  Gegen Leschtschenko laufen in der Ukraine angeblich mehrere Strafverfahren wegen Terrorismusverdachts.

Die ukrainische Minsk-Verhandlerin Olha Aiwasowskaja sagte in einem Fernsehinterview am Montag, dass die Figur von Leschtschenko als Vertreter von „DNR“ unannehmbar ist, weil er ein „Kämpfer” (Bojewik) sei. „Mit Kämpfern wird in Minsk nicht verhandelt. Da sitzen nur Kollaborateure (mit Russland),” sagte sie mit Blick auf die prorussischen Separatisten.

Für eine Einigung zwischen Luhansk und Kiew müsste also die „Volksrepublik” Donezk Zugeständnisse machen, wofür es derzeit keine Anzeichen gibt.

Selbst wenn die Arbeitsgruppe Wirtschaft zusammenkommt, bleibt ein viel schwierigeres Problem, wie der aus Donezk stammende ukrainische Journalist Serhij Harmasch erklärt: Um Überweisungen zwischen Luhansk und der Ukraine zu ermöglichen, muss eine Seite den offiziellen Status der anderen anerkennen. Also entweder Kiew erkennt die „LNR” als unabhängig an, oder Luhansk erklärt sich einverstanden, wieder Teil der Ukraine zu sein – und da beides derzeit höchst unwahrscheinlich ist, bleibt die Situation verfahren, sagt Harmasch in seinem wöchentlichen Podcast.