Verfasst von Nikolaus von Twickel

Zusammenfassung

Die vergangene Woche war geprägt von der schweren Eskalation der Kämpfe im Raum Awdiiwka, die häufig mit dem neuen US-Präsidenten Trump in Verbindung gebracht wurden. Aber auch ohne den militärischen Konflikt blieb es in den „Volksrepubliken“ unruhig. In Donezk und Luhansk wurden prominente Kommandeure Opfer von Anschlägen. Der ehemalige „DNR“-Parlamentschef verlor sein Abgeordnetenmandat.

Ausführlicher Überblick

  1. Schwere Kämpfe um Awdiiwka

Am 29. Januar (Sonntag) begann eine Serie außergewöhnlich heftiger Artillerieduelle um die nordöstlich von Donezk gelegenen Stadt Awdiiwka, die bis Ende der Woche andauerten.

Auf Seiten der „Volksrepublik“ Donezk wurden nach Angaben von Militärsprecher Eduard Basurin bis zum 7. Februar 22 Soldaten getötet und weitere 28 verletzt. Die meisten Opfer – 18 Tote und 26 Verletzte – gab es laut Basurin zwischen dem 29. Januar und 3. Februar.

Auf der ukrainischen Seite wurden nach Angaben des Nationalen Sicherheitsrates mindestens 10 Soldaten getötet und weitere 51 verletzt. Sieben Opfer starben am 30. und 31. Januar, weitere drei Soldaten – am 2. und 3. Februar, wie Sicherheitsratssekretär Oleksandr Turtschynow sagte.

Unter der Zivilbevölkerung gab es auch viele Ofer. Die „DNR“-Menschenrechtsbeauftragte Daria Morosowa sprach am 7. Februar von vier getöteten Zivilisten und 42 Verletzten in der „Volksrepublik“.

Im ukrainisch kontrollierten Awdiiwka wurden laut Polizei mindestens drei Zivilisten getötet und weitere 10 verletzt. 290 Einwohner mussten nach Angaben des ukrainischen Katastrophenschutzdienstes ihre Wohnungen verlassen. Die Kämpfe brachten die Stadt mit derzeit etwa 25.000 Einwohnern an den Rand einer Katastrophe, weil bei Temperaturen von weit unter minus 10 Grad Celsius Wasser- und Stromversorgung sowie die Zentralheizung ausfielen.

Die Folgen der Kämpfe waren auch deshalb so gravierend, weil beide Seiten schwere Artillerie und Raketenwerfer aus Wohngebieten heraus einsetzten, die so zum Ziel für die gegnerische Seite wurde, wie der stellvertretende Leiter der OSZE-Mission Alexander Hug erklärte.

Aus den Tagesberichten der OSZE-Beobachter lässt sich herauslesen, dass sowohl die Ukraine als auch die Separatisten im Vorfeld das Minsker Abkommen brachen indem sie schwere Waffen an die „Kontaktlinie“ genannte Front verlegten. Am 31. Januar zählten die Beobachter mehr als 10.330 Explosionen im gesamten Gebiet (Oblast) Donezk, so viele wie noch nie zuvor.

Beide Seiten machten sich gegenseitig für die Eskalation verantwortlich. Beobachter wiesen darauf hin, dass die Kämpfe einen Tag nach dem ersten Telefongespräch des neuen US-Präsidenten Donald Trump mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin am 28. Januar begannen und am Tag von Trumps ersten Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, am 4. Februar, abflauten.

„DNR“-Chef Alexander Sachartschenko stellte einen solchen Zusammenhang her, als er am 31. Januar (Dienstag) behauptete, dass die ukrainische Führung aus Verzweiflung über den Verlust der USA als Verbündeten befohlen habe, nach Donezk vorzustoßen: „Poroschenko gab den Befehl zum Angriff, weil er sah, dass die Ukraine nichts mehr zu verlieren hat,“ sagte er bei einem Frontbesuch.

Ukrainische und pro-ukrainische Kommentatoren argumentierten dagegen, dass die Aussicht einer neuen Partnerschaft zwischen Washington und Moskau die Separatisten beziehungsweise Russland ermutigt habe, anzugreifen.

In Trumps Telefonat mit Putin vereinbarten die beiden Präsidenten laut offiziellen Mitteilungen das Verhältnis beider Länder zu verbessern, während die Ukraine offenbar kaum vorkam. In seinem Telefonat mit Poroschenko versprach Trump dagegen, bei der Lösung des Konflikts zu helfen.

 2. Sachartschenko setzt weiter auf Minsk

Trotz der vorangegangenen Kämpfe erklärte Sachartschenko am 7. Februar (Dienstag), dass seine „DNR“ am Minsker Abkommen festhalten wolle. Die Chancen, dass das Abkommen Bestand haben wird, stünden bei „50 zu 50“, sagte er bei einem Treffen mit Studenten in Donezk, wie die „DNR“-Nachrichtenseite „DAN“ berichtete.

Sachartschenko, der in der Vergangenheit schon mal für militärische Vorstöße nach Kiew oder sogar London plädiert hatte (s. Newsletter Nr. 11), veröffentlichte diesen Passus jedoch nicht auf seiner eigenen Website. Stattdessen standen dort Auszüge aus einem Gespräch mit Journalisten vom selben Tag, wo er von Angriffsplänen Kiews spricht und warnt, dass „die nächste Offensive der ukrainischen Armee ihre letzte“ sein wird.

Der Donezker Separatistenführer sprach sich auch gegen die Einführung einer Wehrpflicht in der „DNR“ aus. Wehrpflichtige seien bloß Kanonenfutter, man setze daher zunächst auf Freiwillige, wurde er von „DAN“ zitiert.

Die Ukraine und westliche Bobachter sind überzeugt, dass Russland die Separatisten massiv mit Waffen und Freiwilligen unterstützt. Darauf angesprochen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am 3. Februar (Freitag) lediglich, er hoffe, dass sie (die „Volksrepubliken“) genug Munition hätten, um auf die aggressiven Aktionen der ukrainischen Streitkräfte zu antworten. Ein Vizesprecher der russischen Staatsduma, Sergei Schelesnjak, erklärte daraufhin, dass Peskows Äußerung ruhig als Drohung zu verstehen sei.

 3. Kommandeure von „DNR“ und „LNR“ kommen bei Attentaten ums Leben

Gleich zwei prominente Separatistenkommandeure wurden in der vergangenen Woche bei Anschlägen getötet. Am 8. Februar (Mittwoch) starb der „DNR“ Feldkommandeur Michail Tolstych bei einer Explosion in Donezk. Bereits am 4. Februar (Samstag) kam in Luhansk der Chef der „LNR-Volksmiliz“, Oleg Anaschtschenko, durch eine Autobombe ums Leben. Die Separatisten beschuldigten in beiden Fällen ukrainische Sabotageeinheiten.

Der meist nur „Giwi“ genannte Michail Tolstych wurde am frühen Morgen im Hauptquartier seines Bataillons „Somalia“ getötet. Nach Angaben des Donezker „Verteidigungsministeriums“ wurde die Tat gegen 6 Uhr mit einem tragbaren Raketenwerfer vom Typ Schmel („Hummel“) ausgeführt.

Der erst 36-Jährige Giwi galt neben dem im Oktober getöteten Alexei Pawlow („Motorola“) als der bekannteste Feldkommandeur der „DNR“. Beide hatten führende Rollen im Kampf um den Flughafen Donezk gespielt und waren wegen teils grausamer Ausfälle bekannt geworden. So wurden im Januar 2015 Videos publik, in denen Giwi ukrainische Gefangene misshandelt.

Sein Tod wirft die gleichen Fragen auf wie im Falle Motorolas, der am 16. Oktober bei einer Explosion in seinem Wohnhaus getötet wurde (s. Newsletter Nr. 5). Wenn ukrainische Spezialeinheiten tatsächlich unbehelligt in gut bewachten „DNR“-Gebäuden Anschläge verüben könnten, ist unklar, warum sie sich politisch relativ unbedeutende Feldkommandeure als Ziel aussuchten. Gegen einen Konflikt innerhalb der Separatisten spricht wiederum, dass sich weder „Giwi“ noch „Motorola“ öffentlich gegen die „DNR“-Führung gestellt hatten.

Deshalb vermuteten ukrainische Kommentatoren, dass Moskau hinter den Anschlägen stecke, möglicherweise um die Einsetzung einer moderateren Führung in den „Volksrepubliken“ vorzubereiten. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wies derartige Anschuldigungen noch am selben Tag zurück.

In Luhansk wurde unterdessen am Tag von Giwis Ermordung „Volksmiliz“-Chef Anaschtschenko beerdigt. Der oberste Militär der „Volksrepublik“ war vier Tage zuvor am Steuer seines Geländewagens gestorben, als unter diesem eine Bombe explodierte. Nach Einschätzung der OSZE-Mission hatte die Explosion eine Stärke von 4 bis 5 Kilogramm TNT (Dynamit).

Armee und Geheimdienst der „LNR“ beschuldigten auch hier ukrainische Agenten der Tat, ohne aber Beweise zu präsentieren. Berichte russischer Medien vom 6. Februar (Montag), wonach ein Täter, angeblich ein ukrainischer Offizier, gefasst wurde, wurden zunächst nicht bestätigt.

Anaschtschenko war formell Kommandeur der „Volksmiliz“ genannten „LNR“-Streitkräfte. Sein politischer Einfluss dürfte aber gering gewesen sein. So hat die „Volksrepublik Luhansk anders als die benachbarte „DNR“ kein Verteidigungsministerium.

Nur acht Tage vor dem Attentat auf Anaschtschenko war der erste „LNR“-Chef Waleri Bolotow plötzlich im Alter von 46 Jahren gestorben. Nach Darstellung mehrerer Vertrauter starb Bolotow am 27. Januar in seiner Moskauer Wohnung an Herzversagen (s. Newsletter Nr. 17).

Bolotow sowie der im September mysteriös ums Leben gekommene ehemalige „LNR“-Premier Gennadi Zypkalow galten als Gegner des jetzigen Luhansker Separatistenführers Igor Plotnizki. Bereits 2015 waren in der „LNR“ mehrere Feldkommandeure, die Plotnizki offen kritisiert hatten, bei Anschlägen ums Leben gekommen. Von Anaschtschenko waren allerdings keine offenen Auseinandersetzungen mit der „LNR“-Führung bekannt.

 4. Ehemaliger Vorsitzender Purgin verliert Sitz im „DNR-Parlament“

In einem weiteren Akt interner „Säuberungen“ entzog das „DNR-Parlament“ am 6. Februar (Montag) seinem ehemaligen Vorsitzenden Andrei Purgin das Mandat. In der einstimmigen Entscheidung heißt es, dass Purgin seine Vollmachten und Pflichten als Abgeordneter „systematisch“ nicht nachgekommen sei.

Purgin gehörte zu den ersten Anführern der Separatisten in Donezk und war bis Herbst 2015 Parlamentsvorsitzender. Damals wurde er wegen angeblich „staatsgefährdenden Tätigkeiten“ abgesetzt und vom bis heute amtierenden Vorsitzenden Denis Puschilin abgelöst. Offiziell blieb er aber einfacher Abgeordneter der Fraktion der Regierungspartei „Republik Donezk“.

Purgin selbst schrieb bei VKontakte, dass er seit September 2015 nicht mehr Abgeordneter sei und sich seiner Bewegung „Republik Donezk“ widme, die er bereits 2005 mitgegründet hatte. Der Mandatsentzug sei von Mitgliedern der gleichnamigen Bewegung initiiert worden, die aber keinen realen Bezug zu ihr hätten.

 5. Was man mit Pässen der „Volksrepubliken“ in Russland alles machen kann

Das russische Nachrichtenportal RBC veröffentlichte am 2. Februar eine Reportage, wonach man mit Pässen der „DNR“ und „LNR“ nicht nur nach Russland einreisen kann, sondern auch Inlandsflüge buchen und Eisenbahntickets lösen kann. Dies sind strenggenommen Verstöße gegen russisches Recht, da Russland die „Volksrepubliken“ offiziell nicht anerkennt und das Minsker Abkommen mitunterzeichnet hat, das die Rückkehr der von den Separatisten kontrollierten Gegenden in die Ukraine vorsieht.

Der „DNR“-Chefunterhändler für die Minsker Verhandlungen, Denis Puschilin sagte dem Bericht zufolge, dass Russland den „Bürgern der Volksrepubliken“ entgegengekommen sei. Die Donezker Separatisten hatten 2016 mit der Ausgabe eigener Pässe begonnen, in Luhansk gibt es bereits seit 2015 Pässe der „LNR“ (s. Newsletter Nr. 10).

Kremlsprecher Dmitri Peskow stellte einen Tag später klar, dass Russland die Pässe nicht anerkannt habe. Allerdings könnten Behörden auf lokaler Ebene sowie Unternehmen Entscheidungen treffen, um Bewohnern des Donbass das Leben zu erleichtern.

1 Antwort

  1. 15. Februar 2017

    […] Warum diese Nachricht ausgerechnet jetzt kommt, nachdem letzte Woche noch ein Separatistenführer getötet wurde (im letzten Halbjahr kamen bereits sechs von ihnen um). Aber jede Lust zur Analyse vergeht […]