Von Nikolaus von Twickel

Zusammenfassung

Die Absage von Lokalwahlen und der gewaltsame Tod des prominenten Donezker Feldkommandeurs “Motorola“ waren zentrale Themen in den vergangenen zwei Wochen. Spekulationen, dass Russland hinter beiden Ereignissen steckt, wurden von den „Volksrepubliken“ offiziell nicht kommentiert. Stattdessen bekräftigten die Separatisten ihre Ablehnung einer von Kiew geforderten bewaffneten “Polizeimission”.

Ausführlicher Überblick

  1. Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben

Die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk (“DNR” und “LNR”) haben ihre Pläne für Lokalwahlen auf den von ihnen kontrollierten Gebieten verschoben. Russische Nachrichtenagenturen berichteten am 26. Oktober dass die Republikchefs Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizkij den für 6. November angesetzten Termin per Dekret gestrichen hätten. Ein neues Datum gibt es diesmal nicht.

Diese Nachricht fand eine schnelle Weiterverbreitung in ukrainischen Medien, war allerdings auf den offiziellen Webseiten der Separatisten nur schwer zu finden – ein mögliches Indiz dafür, dass es sich um eine Entscheidung handelt, die den Machthabern schwer fiel.

Sachartschenkos Dekret, datiert auf den 24. Oktober, taucht auf der offiziellen Dekrete-Liste der “Volksrepublik Donezk” lediglich als Nummer 362 auf, der eigentliche Link funktioniert nicht mehr. Das Dokument lässt sich lediglich auf inoffiziellen Seiten wie dnr-news.com nachlesen.

Dagegen findet sich das Dekret von “LNR”-Chef Igor Plotnizkij, datiert auf den 26. Oktober, auf seiner offiziellen Homepage.

Die offiziellen Nachrichtenmedien von beiden “Volksrepubliken” – das Luhansker Portal lug-info.com, die Donezker Nachrichtenagentur “DAN” sowie die Seite des Informationsministeriums von “DNR” hatten die Wahl-Absage bis einschließlich Montag mit keinem Wort erwähnt. Das letzte Mal, dass “DAN” überhaupt einen Text mit dem Wort “Wahlen” veröffentlicht hat, war am 14. Oktober, als Sachartschenko erklärte, dass die Vorwahl am 2. Oktober gezeigt hätten, dass man Abstimmungen auf hohem Niveau abhalten könne.

Von einem Wahltermin im November war auch in den zahlreichen offiziellen Berichten über die als “Primaries” bezeichneten Vorwahlen keine Rede gewesen – dabei hatte die unter Protesten der ukrainischen Regierung abgehaltenen Abstimmungen offiziell das Ziel, die Wahl vorzubereiten.

Die einzige offizielle Stellungnahme kam von Denis Puschilin, dem Chefunterhändler und Parlamentschef der “DNR”. Einen Tag nach dem Bekanntwerden der Terminabsage erklärte er im russischen Sender Life.ru (ehemals Lifenews), man wolle keine Wahlen abhalten, bevor die Ukraine nicht ein Gesetz zum Sonderstatus der Separatistengebiete erlassen habe wie es im Minsker Abkommen gefordert wird.

Puschilins Argumentation steht im Gegensatz zu früheren Äußerungen Sachartschenkos, der im Januar gedroht hatte, dass man die Wahlen auch ohne Abstimmung mit Kiew abhalten werde.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat für die Durchführung von Wahlen zuletzt immer wieder die gleichen Bedingungen gestellt – den Abzug aller “ausländischen” (gemeint sind russische) Truppen sowie die Kontrolle über die Grenze mit Russland. Außenminister Pawlo Klimkin sagte am 21. Oktober im ukrainischen Parlament, dass wegen der schlechten Sicherheitslage die Planung von Wahlen noch in weiter Ferne liegt.

Die “Volksrepubliken” hatten ihre eignen, ursprünglich für Herbst 2015 geplanten Wahlen mehrfach verschoben – in Donezk erst auf den 20. April, dann auf den 24. Juli und schließlich auf November.

Als wahrscheinlichster Grund der mehrfachen Verschiebungen wurde russischer Druck auf die Separatisten vermutet. Die jüngste Wahl-Absage wurde zudem am selben Tag bekannt, an dem sich die “Trilaterale Kontaktgruppe” in Minsk traf – eine Woche nach dem Berliner Gipfel des “Normannischen Quartetts” vom 19. Oktober. Die Kontaktgruppe aus Vertretern Russlands, Ukraine und der OSZE beriet am 26. Oktober unter anderem auch über die Modalitäten von Lokalwahlen.

  1. OSZE-Polizeimission

Beim “Normannischen Gipfel” in Berlin am 19. Oktober wurde vereinbart, dass die vier Länder – Russland, Ukraine, Frankreich und Deutschland – eine “Roadmap” zur Umsetzung des Minsker Abkommens ausarbeiten wollen. Anders gesagt, es handelt sich um einen Plan, um zu erreichen, was seit Februar 2015 nicht erreicht wurde – von den 13 Punkten des “Maßnahmenpakets” von Minsk ist noch kein einziger umgesetzt.

Präsident Poroschenko ließ jedoch aufhorchen, als er nach dem Gipfel erklärte, dass sich die vier Staats- und Regierungschefs einig waren, eine bewaffnete “Polizeimission” der OSZE in die Separatistengebiete zu schicken, die während und nach den Lokalwahlen dort für Sicherheit sorgen solle.

Der russische Präsident Wladimir Putin ließ daraufhin seinen Sprecher Dmitrij Peskow erklären, dass für eine derartige Mission die Zustimmung der Führung von “LNR” und “DNR” eingeholt werden müsse. Zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeschränkt, dass eine bewaffnete OSZE-Mission bei den Verhandlungen “keine absolute Dringlichkeit” hatte. Zunächst müsse die Ukraine ein Gesetz über die Lokalwahlen in bestimmten Bezirken der Gebiete Donezk und Luhansk verabschieden.

Die Separatisten haben zuletzt sehr deutlich gemacht, dass sie bewaffnete ausländische Truppen in „ihren“ Gebieten nicht dulden werden. Anfang Oktober organisierten sie in Luhansk eine Großdemonstration gegen solche Pläne, während sie in Donezk öffentlich gewaltfreien Widerstand gegen eine fiktive Truppe üben ließen.

Nach Poroschenkos Ankündigung warnte “DNR”-Chef Sachartschenko, dass Kiew eine solche Mission für gewaltsame Provokationen missbrauchen könne. “Ukrainische Agenten können OSZE-Angehörige auf unserem Territorium töten und uns dafür beschuldigen,” sagte er der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Er fügte hinzu, dass man jedem bewaffneten OSZE-Vertreter drei bewaffnete “DNR” Leute zu Seite stellen werde. “Die OSZE wird unsere Gäste und Beobachter schützen, und wir werden die OSZE schützen.”

Eine bewaffnete Friedenstruppe für die Ostukraine ist ein lang gehegter Wunsch der Regierung in Kiew, die zunächst UN-Blauhelme gefordert hat.

  1. Der Mord an “Motorola”

Wenig überraschend spielen die Hintergründe des gewaltsamen Todes von Arseni Pawlow keine Rolle in den offiziellen “DNR” Medien. Der prominente Feldkommandeur mit Spitznamen “Motorola” war am 16. Oktober bei einer Bombenexplosion in seinem Hauseingang ums Leben gekommen. Das Donezker Staatssicherheitsministerium (MGB) sowie Sachartschenko machten ukrainische Agenten für das Attentat verantwortlich. Am Dienstag kündigte Sachartschenko an, dass er „bald“ die Namen der schuldigen Ukrainer (Agehörige des Geheimdienstes SBU) nennen werde.

Mittlerweile haben ukrainische Medien und Blogger eine Reihe Hinweise zusammengetragen, wonach nicht Kiew sondern Moskau hinter dem Anschlag steckt.

Der aus Donezk stammende Journalist Denis Kasanskij hat minutiös dargelegt, dass die Tat kaum von ukrainischen Spezialeinheiten ausgeführt worden sein konnte, weil Motorola viel zu gut bewacht war und die Täter ein höchst privilegierten Zugang zu dessen Wohnblock gehabt haben müssten (der Sprengsatz war demnach im Müllschlucker versteckt und wurde genau in dem Moment gezündet, als das Opfer den Fahrstuhl unmittelbar daneben betrat).

Auch stellt sich die Frage: warum die ukrainische Seite, wenn sie über solche Fähigkeiten verfügen sollte, einen Feldkommandeur und keine prominentere Führungspersönlichkeit beseitigt.

Die Vermutungen, dass Moskau hinter dem Mordanschlag steht, begründen sich darin, dass mit Motorola ein schwer kontrollierbarer Hardliner beseitigt wurde, der einer (wie auch immer gearteten) politischen Lösung des Konflikts hinderlich wäre. Dies wirft die Frage auf, ob sich der zweite prominente “DNR”-Feldkommandeur um sein Leben sorgen muss. Michail Tolstich, besser bekannt als “Giwi,” teilte per YouTube Video mit, dass er entgegen ukrainischen Medienberichten nicht nach Transnistrien geflohen sei, sondern in seiner Heimat Donbass sterben werde.

Kasanskij hat auch hämische Reaktionen auf den Mord an Motorola von Leuten aus dem Umfeld von Wladislaw Surkow – Putins Bevollmächtigten für die Ostukraine – zusammengetragen, die darauf hinweisen, dass dem Feldkommandeur in bestimmten Moskauer Zirkeln nicht nachgetrauert wird.