Verfasst von Nikolaus von Twickel

Zusammenfassung

Die vorige Woche war von massiven Korruptionsvorwürfen gegen den Luhansker Separatistenführer Plotnizkij geprägt. Der reagierte allerdings nicht darauf und behauptete stattdessen, dass ukrainische Nationalisten einen schweren Terroranschlag gegen seine “Volksrepublik” planen.

Ausführlicher Überblick

  1. Schwere Vorwürfe gegen Plotnizkij in russischer Zeitung

Der Chef der “Volksrepublik” Luhansk, Igor Plotnizkij, geriet vorige Woche ins Kreuzfeuer der Kritik. Zuerst tauchte sein Vorgänger Walerij Bolotow nach zwei Jahren aus der Versenkung auf und kritisierte die Zustände in der „LNR“, dann wurden schwere Korruptionsvorwürfe gegen Plotnizkij erhoben. Am 18. November (Freitag) erschien ein langer Artikel in der “Komsomolskaja Prawda”, einer der größten kremlfreundlichen Tageszeitungen Russlands, worin Plotnizkij bezichtigt wird, zusammen mit dem (in Kiew lebenden) ehemaligen Gouverneur von Luhansk, Wladimir Pristjuk, den Medikamentenmarkt der “LNR” unter sich aufgeteilt zu haben.

Am Ende des anonymen Artikels, den die “Komsomolskaja Prawda” weder auf Twitter noch auf Facebook postete, werden namentlich nicht genannte Mitarbeiter der “LNR”-Regierung damit zitiert, dass es sowohl in der “LNR” als auch in Moskau wachsende Unzufriedenheit mit Plotnizkij gebe, weil dieser immer mehr nach den Geldströmen der “Volksrepublik” greife: “Plotnizkij bereitet sich auf seinen Rücktritt und seine Flucht vor – bloß wohin wird er fliehen, nach Moskau oder vielleicht nach Kiew?” heißt es in dem Artikel.

Vorwürfe, dass Plotnizkij sich im Pharmasektor bereichert und dazu mit ukrainischen Oligarchen (genannt wird der unter Präsident Viktor Janukowytsch einflussreiche Serhij Kurtschenko) zusammenarbeitet, sind nicht neu. Sie waren bereits im Frühjahr Gegenstand russischer Medienberichte, als Plotnizkijs Berater Dmitrij Kargajew in Luhansk erschossen wurde. Damals berichtete die Zeitung “Moskowski Komsomolez”, dass Leute aus Plotnizkijs Umgebung ein Pharma-Monopol für ein russisches Unternehmen aufgebaut haben.

Der Zeitpunkt der jüngsten Veröffentlichung erscheint jedoch besonders ungünstig, da die “LNR” derzeit unter akuter Finanznot leidet (s. Newsletter Nr. 7) und Plotnizkij erst im September seine internen Widersacher offen eines Putschversuches beschuldigte (s. Newsletter Nr. 1), woraufhin ein ehemaliger “Premierminister” unter mysteriösen Umständen ums Leben kam.

Alexei Karjakin, der im März abgesetzte “Parlamentschef der “LNR”, erklärte in einem Interview, dass der Geldmangel der “LNR” die direkte Folge der ausufernden Korruption um Plotnizkij sei. “Wegen der verschiedenen Korruptionsgeschichten” seien die Hilfslieferungen – sowohl Waren als auch Geld – eingestellt worden. “Das einstige Vertrauen in ihn ist verschwunden – sowohl in der Republik, als auch außerhalb,” wird Karjakin in Anspielung auf Moskau zitiert.

Plotnizkij hatte am 14. November eingeräumt, dass Löhne und Renten nicht voll ausgezahlt werden können und behauptete, es handele sich um “technische Schwierigkeiten”, die bald ausgeräumt seien.

Karjakin, der sich in Russland aufhält, wird seit Herbst im Zusammenhang mit einem angeblichen Umsturzversuch in der “LNR” steckbrieflich gesucht.

Seine Aussagen decken sich mit Äußerungen  des ehemaligen Donezker Rebellenkommandeurs Alexander Chodakowskij: Dieser sagte in seiner wöchentlichen YouTube-Show am 17. November (Donnerstag), dass “gewisse Kreise” in Russland kein Verständnis mehr für Plotnizkijs Verhalten hätten. Chodakowskij, der bis 2015 Kommandeur der Bataillon “Wostok” und Sekretär des “Sicherheitsrats” der “Volksrepublik” Donezk war, kritisiert seit Monaten regelmäßig die ostukrainischen Separatistenführer.

Einen Tag später (18. November) erschien auf Novorosinform.org, eine Moskauer Nachrichten-Site, die die Separatisten unterstützt, ein anonymer Beitrag, in dem es heißt, dass Moskau das Vertrauen in Plotnizkij wegen dessen korrupter Amtsführung verloren habe.

Ostap Gorodenko von der ukrainischen Nachrichtenwebseite ostro.org schrieb am selben Tag, dass Moskau den Geldhahn Mitte Oktober zugemacht habe, und dass die “LNR” jetzt verzweifelt nach neuen Finanzquellen auf eigenem Territorium sucht.

Bereits vergangenes Wochenende (13.-14. November)  hatte sich Walerij Bolotow, der erste und einzige Chef der “LNR” vor Igor Plotnizkij, zu Wort gemeldet – nach eigenen Angaben das erste Mal seit er im August 2014 wegen einer angeblichen Verletzung verschwand.

In einem Interview mit der wenig bekannten russischen Zeitung “Sowjetskaja Rossija” wirft Bolotow Plotnizkij vor, pro-ukrainische Funktionäre in die “LNR”-Führung geholt zu haben. Einige hätten sogar auf Seiten der Ukraine gegen den Donbass gekämpft, wird er zitiert.

Bolotow betont zwar, dass er Plotnizkij als gewähltes “LNR”-Oberhaupt respektiert und derzeit nicht vor hat, nach Luhansk zurückzukehren, um nicht “Unruhe auf dem bereits wackligen Schiff” auszulösen. Aber er kündigt an, dass er eine neue Bewegung namens “Einheit” (Jedinenie) gründet, deren Ziel die Schaffung von “Neurussland”, also der Abtrennung weiter Teile des Ostens und Südens von der Ukraine, sein soll.

Der Bericht macht keinerlei Angaben dazu, wo sich Bolotow derzeit aufhält.

 

  1. „LNR“ beschuldigt Ukraine einen Terroranschlag auf Kanal zu planen

In den offiziellen Medien der “LNR” findet sich zu den Korruptionsvorwürfen gegen Plotnizkij kein Wort. Stattdessen verkündete Plotnizkij am 16. November (Mittwoch), dass ukrainische Nationalisten einen schweren Terroranschlag gegen seine “Volksrepublik” planten und bat Präsident Petro Poroschenko, das zu verhindern.

Angeblich planten Angehörige des Freiwilligenbataillons “Aidar” einen Kanal zu sprengen, und damit große Teile der Stadt Schtschastja unter Wasser zu setzen, sagte Plotnizkij laut dem offiziellen Portal lug-info.com. Entsprechende Angaben hatte kurz zuvor der Geheimdienstchef der “Volksrepublik” gemacht. In einer Videobotschaft warnte “Staatssicherheitsminister” Leonid Passjotschnik vor einer ökologischen Katastrophe und beschuldigte die ukrainischen und westlichen Geheimdienste, hinter dem geplanten Anschlag zu stehen, mit dem die “LNR” diskreditiert werden solle.

Plotnizkijs und Passjotschniks Warnungen wurden von ukrainischer Seite schnell dementiert. Die ganze Geschichte sei zu 100 Prozent frei erfunden und diene nur dazu, die Ukraine und ihr Militär zu diskreditieren, erklärte der stellvertretende Gouverneur von Luhansk, Jurij Klimenko.

Die Warnung vor dem angeblichen Terroranschlag ist auch deshalb interessant, weil sie eine seltene Einigkeit zwischen Plotnizkij und seinem Geheimdienstchef demonstriert. So berichtete die dem Staatsicherheitsministerium MGB nahestehende Seite lugansk1.info prominent und respektvoll von einer eiligen Verfügung Plotnizkijs an seine Geheimdienste.

In der Vergangenheit hatte es – vor allem von ukrainischer Seite – immer wieder Spekulationen gegeben, dass sich Passjotschnik und Plotnizkij feindlich gegenüberstehen (s. auch Newsletter N. 1).

3. Orden für Donezker Steuereintreiber

Aus Donezk kamen vergangene Woche verhältnismäßig wenig interessante Nachrichten. Allerdings ließ aufhorchen, dass der Chef der “Volksrepublik”, Alexander Sachartschenko, auf einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte ausgerechnet Zöllnern und Steuerinspektoren Orden verlieh – anlässlich des offiziellen Gedenktages beider Berufsgruppen.

Es ist lange spekuliert worden, dass die “Volksrepubliken” Donezk und Luhansk von finanziellen Zuwendungen aus Russland abhängig sind (s. auch Newsletter Nr. 3). Berichten zufolge ist es auch in der Donezker Volksrepublik jüngst zu Zahlungsengpässen gekommen (s. Newsletter Nr 7). Zwar wurden keine Korruptionsvorwürfe wie gegen die “LNR”-Führung bekannt, jedoch mehren sich Berichte über Jobabbau und Betriebsschließungen. So protestierten vergangene Woche Eisenbahnarbeiter in Debalzewe gegen ihre Entlassung.

Ein hoher Beamter des ukrainischen Grenzschutzes, Oleh Slobodjan, warnte vergangene Woche, dass Russland die Separatisten nicht mehr finanzieren will und diese daher neue Einnahmequellen suchen, etwa neue Abgaben von Unternehmern.

Ex-Rebellenkommandeur Chodakowskij lieferte auch eine interessante Theorie über Sachartschenkos Personalpolitik: In seiner Videoshow erklärte er die Absetzung des Bürgermeisters von Donezk, Igor Martynow, damit, dass Martynows Beliebtheit mittlerweile die des Republikchefs überflügelt habe. Daher sei er für Sachartschenko gefährlich geworden, der ihn am 14. Oktober zu einem seiner stellvertretenden Stabschef ernannt hatte. Dem neuen Bürgermeister Alexei Kulemsin sei gesagt worden, sich „nicht zu sehr zu profilieren,“ behauptet Chodakowskij. Martynow hatte nach offiziellen Angaben bei den Vorwahlen am 2. Oktober 83 Prozent der Stimmen für eine Kandidatur als Stadtoberhaupt bekommen.