Nikolaus von Twickel

Zusammenfassung

Das „LNR“-Parlament missbilligte die Arbeit von „Premierminister“ Sergei Koslow. Der Absturz einer russischen Tu-154 über dem Schwarzen Meer löste in den „Volkrepubliken“ größere Beileidsbekundungen aus, während die Ukraine dazu offiziell schwieg. Die Ukraine und die Separatisten erklärten sich bereit, weitere Gefangene freizulassen, es kam aber bisher kein Austausch zustande. In Luhansk wurde ein weiterer Blogger wegen Kritik an der „Volksrepublik“ festgenommen. Schwere Kämpfe bei der Stadt Debalzewe setzen sich fort.

Ausführlicher Überblick

  1. Wieder offener Konflikt in der Luhansker Separatistenführung

In der „Volksrepublik“ Luhansk ist erneut offener Streit innerhalb der Führungselite ausgebrochen. Am 23. Dezember (Freitag) veröffentlichte Republikchef Igor Plotnizkij eine Erklärung, in der er eine Entscheidung des „Parlaments“ unterstützt, die Arbeit von „Premierminister“ Sergei Koslow nicht gutzuheißen.

Am Vortag hatte das Parlament in einer Plenarsitzung Koslows Jahresbericht angehört. In der anschließenden Fragestunde hatte Koslow auf Fragen der Abgeordneten nicht antworten können, erklärte Plotnizkij.

Die Entscheidung bedeutet nichts Gutes für Koslow, der im Januar den Premierminister-Posten angetreten hatte. Sein Vorgänger Gennadij Zypkalow wurde im September wegen eines angeblichen Umsturzversuchs verhaftet und starb kurz darauf unter mysteriösen Umständen in seiner Zelle (s. Newsletter Nr. 1).

Allerdings scheint Koslow in der chronisch zerstrittenen „LNR“-Führung noch Unterstützer zu haben. Indiz dafür ist die Tatsache, dass weder die Parlamentsentscheidung noch Plotnizkijs anschließende Erklärung auf der offiziellen Nachrichtenwebsite der „Volksrepublik“, lug-info.com erwähnt wurden. Auch die Website lugansk1.info, die als Sprachrohr des Staatsssicherheitsministeriums („MGB“) gilt, hat dazu nichts veröffentlicht. Der Chef des „MGB“, Leonid Passjotschnik, gilt als interner Widersacher Plotnizkijs (s. Newsletter Nr. 1).

Der im russischen Exil lebende ehemalige „LNR“-Parlamentschef Alexei Karjakin, der im Zuge des „Umsturzversuches“ von den Separatisten zur Fahndung ausgeschrieben wurde, nannte die Affäre ein Anzeichen für den Grad der Verlogenheit der Eliten „Volksrepublik“.

 

  1. Demonstrative Trauer in Donezk und Luhansk nach dem Tupolew-Absturz

Der Absturz einer Tupolew-154 des russischen Verteidigungsministeriums über dem Schwarzen Meer am 25. Dezember (Montag) mit 92 Toten hat in den beiden „Volksrepubliken” einen regelrechten Wettbewerb öffentlicher Trauerbekundungen ausgelöst – ganz im Gegensatz zur Ukraine, wo es seitens der Regierung keinerlei Beleidsbekundungen gab.

In Donezk erklärte “Republikchef” Alexander Sachartschenko, dass man „gemeinsam mit dem gesamten russischen Volk schockiert” von dem Absturz sei: „Im Angesicht solcher Prüfungen rückt  das russische Volk zusammen, verbunden durch uralte, helfende Instinkte.”

Wohlgemerkt benutzte Sachartschenko nicht das Wort „rossiiskij“ („russländisch“ bezieht sich auf die Bürger der Russischen Föderation) sondern „russkij“, womit er die Gemeinschaft der ethnischen Russen meinte, die ja auch die Donbass-Bewohner mit einschließen kann.

Am gleichen Tag meldete die offizielle Nachrichtenagentur „DAN”, dass hunderte Menschen an einer Trauerkundgebung in Donezk teilgenommen hätten. Für den 26. Dezember verfügte Sachartschenko, dass in der „Volksrepublik” Staatstrauer herrscht, genauso wie in Russland.

In der Volksrepublik Luhansk wurde zwar keine Staatstrauer verhängt, doch auch hier berichtete die offizielle Nachrichtensite lug-info.com, dass Bürger der „LNR” in Luhansk und in Krasny Lutsch öffentlich ihr Beileid bekundeten. Republikchef Igor Plotnizkij erklärte, man empfinde in der „LNR” „tiefen Schmerz” über das Unglück, erwähnte aber weder Russland noch das russische Volk.

Wegen der Ermordung des russischen Botschafters in der Türkei hatte Plotnizkij am 20. Dezember (Dienstag) ein Beileidschreiben an den russischen Außenminister Sergei Lawrow veröffentlicht. Sachartschenko hatte sich dazu nicht geäußert.

Insgesamt veranschaulichen die beiden Unglücke den aktuellen Beziehungsstand zu Russland: Während sich die Separatistengebiete emotional zu Russland gehörig fühlen, lehnt die Ukraine jede emotionale Nähe zu Moskau komplett ab.

 

  1. Statt Gefangenenaustausch nur „Gesten guten Willens”

Am 26. Dezember (Dienstag) kündigten die Chefs der Volksrepubliken Donezk und Luhansk an, dass sie als „Geste des guten Willens” der ukrainischen Parlamentsabgeordneten Nadja Sawtschenko zwei weibliche Gefangene übergeben werden.

In einem Seitenhieb an den  ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko“ schreiben Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizkij in ihrer gemeinsamen Erklärung, dass ukrainische Frauen fähiger seien, politische und wirtschaftliche Probleme zu lösen und manchmal auch, das Land zu regieren.

Eine der beiden Freigelassenen ist die Journalistin Olga Sworak aus der westukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk, die im Juni von den Separatisten in Luhansk gefangen genommen und als Spionin des ukrainischen Geheimdienstes SBU vorgeführt worden war. Sworak behauptet in einem Video, dass sie vom SBU in Kiew angeworben worden sei. (Eine ausführliche Diskussion des Videos hat damals die Nachrichten-Site Ostro.org veröffentlicht)

Sachartschenko erklärte auf Twitter, dass man die beiden freilasse, weil „niemand sie brauche”.

Bei der Übergabe der beiden Gefangenen an die Ukraine trat Sawtschenko allerdings nicht in Erscheinung. Die ehemalige russische Kriegsgefangene hatte für Unmut gesorgt, als sie im November offenbar ohne Absprache mit der ukrainischen Regierung Gespräche über Gefangene mit Sachartschenko und Plotnitskij in Minsk führte.

Kiews Beauftragte für die Gefangenen-Verhandlungen, die Parlamentsabgeordnete Iryna Heraschtschenko, erklärte, dass man über jeden einzelnen Freigelassenen froh sei und dass die Ukraine ihrerseits als „Neujahrsgeste” 15 Gefangene an die Separatisten übergeben werde.

Heraschtschenko vermied es aber, die 15 zu übergebenden Gefangenen in Zusammenhang mit den zwei Freigelassenen zu bringen, die ja laut Sachartschenko und Plotnizkij auf Sawtschenkos Intitiative zurückgehen.

Wenn es dabei bleibt, gibt es zum Jahresende keinen Gefangenenaustausch, sondern lediglich je eine „Geste guten Willens” von jeder Seite (unklar ist, ob für den in der Vorwoche freigelassenen ukrainischen Soldaten Taras Kolodij einen Austausch gab). In Minsk war zuletzt um einen Gefangenenaustausch von 228 gegen 42 verhandelt worden (s. Newsletter Nr. 12).

 

  1. Weiterer Blogger in der „LNR” verhaftet

Das „Staatssicherheitsministerium” der „Volksrepublik” Luhansk teilte am 26. Dezember (Montag) mit, dass ein weiterer Blogger festgenommen worden sei, weil er „extremistische“ Posts verbreitet habe.

Gennadij Benizkij aus Luhansk habe auf Facebook negatives Material über Bürger und staatliche Organe der „LNR”, darunter Republikchef Igor Plotnizkij verbreitet, erklärte die als „MGB” bekannte Behörde.

Benizkij, dessen Facebook-Account ein „Luhansk ist Ukraine”-Profilbild und mehrere öffentliche „Ich-liebe-Ukraine”-Fotos enthält, hatte in der Vergangenheit mehrmals seine Ablehnung der „LNR” in ukrainischen Medien verbreiten lassen – so im November 2015 in Kiew und im Juni 2016 auf der ukrainischen Blogging-Plattform glavpost.com. Die Nachrichten-Site Ostro.org kommentierte, dass seine Facebook-Posts nicht extremistisch sondern ironisch seien.

Das Luhansker „MGB“ sagte, dass man Benizkij im Zuge der Ermittlungen gegen Eduard Nedeljajew gefasst habe. Nedeljajew war Ende November ebenfalls wegen Facebook-Posts festgenommen und der Spionage für die ukrainische Seite beschuldigt worden (s. Newsletter Nr. 10).

Im Gegensatz zu Nedeljajew wurden von Benizkij zunächst keine Videos mit „Geständnissen” veröffentlicht und „nur” ein Verfahren wegen Anstachelung zum Hass eröffnet.

Dennoch dürfte der Fall das Risiko offener Meinungsäußerungen und Kritik an den Machthabern in der „Volksrepubliken” weiter anheben.
Dessen ungeachtet legte Alexander Chodakowskij, einer der schärfsten internen Kritiker der „DNR”, in diesen Tagen ein neues Facebook-Profil an. Das Profil war zunächst nicht verifiziert, wurde aber von anderen Separatisten verbreitet.

 

  1. Schwere Kämpfe bei Debalzewe

Seit mehr als zwei Wochen gibt es wieder schwere Kämpfe zwischen den Städten Debalzewe und Switlodarsk. Die bewaffneten Auseinandersetzungen finden hauptsächlich auf der großen Ebene zwischen den beiden Städten, genannt „Switlodarsker Bogen“ statt.

Die Kämpfe begannen offenbar in der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember – damals verzeichnete die OSZE-Beobachtermission Feuer aus Raketenwerfern von nordwestlich ihrer Basis im ukrainisch kontrollierten Switlodarsk.

Laut Erklärungen von Separatisten hatten die Kämpfe begonnen, als die Ukrainer versuchten, neue Stellungen in der „Grauzone“ zwischen den verfeindeten Linien einzunehmen.