Verfasst von Nikolaus von Twickel

Zusammenfassung

Das größte Ereignis der vergangenen Woche in den “Volksrepubliken” der Ostukraine war die angebliche Vereitelung eines Putschversuches in Luhansk. Einer der Hauptverdächtigen – ein ehemaliger “Premierminister” – soll sich in seiner Zelle erhängt haben. Wegen der prekären Lage dort beorderte die “Volksrepublik Donezk” einen prominenten Feldkommandeur nach Luhansk.

 Dennoch wuchs gleichzeitig die Hoffnung, dass sich die militärische Lage weiter beruhigt – in der Minsker Kontaktgruppe wurde ein erstes „Entflechtungsabkommen“ vereinbart, das vorsieht, dass sich Regierungstruppen und Rebellen etwas von der Kontaktlinie zurückziehen.

 In beide Republiken gehen zudem die Vorbereitungen der umstrittenen Vorwahlen am 2. Oktober weiter.

Ausführlicher Überblick

  1. Politische Instabilität

Am 20. September (Dienstag) teilte der Luhansker Rebellenchef Igor Plotnitzkij in einer auf YouTube verbreiteten Regierungssitzung mit, dass in seiner “Volksrepublik” ein Umsturzversuch vereitelt worden sei. Plotnizkij nannte keine Schuldigen, sondern erläuterte wolkig, dass die Verschwörer Unterstützung von der Ukraine, seinen eigenen internen Gegnern sowie aus Russland haben könnten. Er fügte hinzu, dass “etwas Ähnliches” auch in der “Volksrepublik Donezk” geplant gewesen sei, aber von den dortigen Sicherheitsdiensten verhindert wurde.

Zwei Tage später, am Donnerstag, wurde Plotnizkij etwas genauer und erklärte, dass der Putschversuch zum Ziel gehabt habe, die Kontrolle Kiews über die „Volksrepublik Luhansk“ („LNR“) wiederherzustellen. „Seid wachsam – solange die Kiewer Junta, das Nazi-Regime, weiterbesteht, wird es solche Versuche geben,“ sagte er.

Am 24. September (Samstag), teilte die Generalstaatsanwaltschaft der „LNR“ mit, dass mindestens drei prominente Figuren der “Volksrepublik Luhansk” zu den Verschwörern gehört hätten, zwei davon seien gefasst. Einer von ihnen, ex-Premierminister Gennady Zypkalow, habe sich in seiner Zelle erhängt, weil er “befürchten müsse, wegen seiner Mitwisserschaft von den noch in Freiheit lebenden Mitverschwörern umgebracht zu werden.” Zypkalow, der seit seiner Ablösung als Regierungschef im Januar immerhin noch als “Berater” von Republikchef Plotnitsky fungierte, wurde demnach erst in der Nacht zum Samstag festgenommen.

Der andere Festgenommene ist Vitalij Kiseljow, ein hoher Kommandeur der “Volksmiliz” genannten Streitkräfte der “LNR”. Nach Berichten, dass Kiseljow nach Verhören schwer verletzt oder gar gestorben sei, präsentierte die Staatsanwaltschaft den Festgenommen am Montag „lebendig und gesund“ im Staatsfernsehen.

Außerdem wird in der Sache ein weiterer ranghoher Vertreter der “Volksrepublik” gesucht – Alexej Karjakin, bis Ende März Vorsitzender des “LNR”-Parlaments. Karjakin, der lange als einer der führenden Köpfe der Luhansker Rebellen galt, wird nun per Steckbrief auf der Website der Staatsanwaltschaft als Verbrecher vorgestellt.

Karjakin meldete sich am Montag aus einem Versteck in Russland zu Wort. In einem Interview der Jekaterinburger Nachrichtensite ura.ru erklärte er, dass Zypkalow wohl ermordet wurde, weil er sich weigerte, seine Leute zu verraten. Karjakin beklagt, dass unter Plotnizkij korrupte und proukrainische Leute die Macht in der “LNR” übernommen hätten.

Wegen der instabilen Lage in Luhansk wollen die Donezker Rebellen ihren führenden Feldkommandeur Arsenij Pawlow, besser bekannt als “Motorola”, mit seinem Bataillon “Sparta” in die Nachbarrepublik geschickt haben. Entsprechende Aussagen machte der Donezker Rebellenchef Alexander Sachartschenko am 22. September (Donnerstag) im russischen Sender Life – sie fanden aber keine Erwähnung in den offiziellen “DNR” Medien (ein Video gibt es auf der inoffiziellen Seite dnr-news.com/).

Auch Plotnizkijs Aussage, dass ein Umsturz auch in der „DNR“ vereitelt worden sei, fehlt in den dortigen Medien. Plotnizkij erläuterte am 22. September, dass er damit die Festnahme eines angeblichen Rings ukrainischer Agenten in Jasinuwata bei Donezk Anfang des Monats meinte. Die Meldung des Geheimdienstes der „Volksrepublik Donezk“ hatte damals Schlagzeilen gemacht, weil die fünf Festgenommen alle Teenager waren.

Öffentliche Erklärungen über einen geplanten Umsturz hat es in den “Volksrepubliken” bisher nicht gegeben, jedoch ist die Lage in Luhansk schon lange instabiler als in Donezk. In den von der “LNR” kontrollierten Gebieten sind in den letzten Monaten mehrere prominente Feldkommandeure ums Leben gekommen. Am 6. August soll Republikchef Igor Plotnizkij einen Anschlag überlebt haben, als eine Bombe in unmittelbarer Nähe seines Autos detonierte.

Am 24. September erklärte die “LNR”-Generalstaatsanwaltschaft, dass das Attentat auf Plotnizkij “höchstwahrscheinlich” von ukrainischen Agenten ausgeführt wurde.

Sowohl im Fall des Anschlags auf Plotnizkij wie auch in Bezug auf den Putschversuch haben ukrainische, aber auch russische Beobachter deutliche Zweifel an den offiziellen Versionen angemeldet. Der aus Luhansk stammende Journalist Andrej Dihtjarenko sieht in dem “Putschversuch” lediglich eine Säuberungsaktion Plotnizkijs gegen seine internen Widersacher, die von “LNR”-Geheimdientschef Leonid Passotschnik (offiziell “Minister für Staatssicherheit”) angeführt werden.

Alle drei bekannten Verschwörer, Karjakin, Zypkalow und Kiseljow, stehen dem ersten “LNR”-Anführer Valerij Bolotow nahe, der im August 2014 von Plotnizkij abgelöst wurde. Passjotschnik, der wie Bolotow und Karjakin aus Stachanow stammt, gehört Dihtjarenko zufolge auch zu dieser Gruppe.

Laut Dihtjarenko hat Passotschnik mächtige Verbündete in Moskau, und Plotnizkij versucht ihn jetzt als Versager hinzustellen, um ihn loszuwerden. Das angebliche Attentat auf Plotnizkij im August ist laut Dihtjarenko wohl inszeniert worden, um dem Geheimdienst schlechte Arbeit vorzuwerfen. Das gleiche sei nun im Fall “Putschversuch” zu erwarten, sagte Dihtjarenko in einem Video-Interview mit ostro.org.

Der russische Blogger Anatolij Nesmijan, der dem russischen Nationalisten und einstigen Donezker “Verteidigungsminister” Igor Girkin (“Strelkow”) nahesteht, schreibt in seinem Blog dass Zypkalow wohl umgebracht wurde, weil er zuviel über Plünderungen und Enteignungen in den Anfängen der “LNR” wusste.

Nesmijan spekuliert weiter, dass ein erzwungener Machtwechsel sowohl in Luhansk als auch in Donezk denkbar sei, und zwar mit aktiver Unterstützung der Ukraine und Russlands, die inzwischen Plotnizkij und Sachartschenko gern los wären, weil beide dem Dialog zwischen Kiew und Moskau hinderlich seien.

2. Unterzeichnung eines “Entflechtungsabkommens”

Die andere große Meldung der vergangenen Woche war die Unterzeichnung eines “Entflechtungsabkommens” bei den Verhandlungen der Minsker Kontaktgruppe. In dem Dokument verpflichten sich die “Volksrepubliken” und die Ukraine, ihre Truppen in drei Pilotgebieten, in denen sich die Konfliktparteien gefährlich nahe gekommen waren, von der Kontaktlinie zurückzuziehen. Das Abkommen soll erst ab 1. Oktober umgesetzt werden. Die OSZE-Beobachtermission, die an der Ausarbeitung maßgeblich beteiligt war, berichtete in den vergangenen Tagen auf Twitter, dass ihre Angehörigen an eben jenen Gebieten weiterhin nicht durchgelassen würden.

3. Vorwahlen in den „Volksrepubliken“

Währenddessen laufen die Vorbereitungen auf die als “Primaries” genannten Vorwahlen in beiden “Volksrepubliken” auf Hochtouren. In Donezk und Luhansk werden fast täglich Berichte über ausländische Beobachter und Journalisten verbreitet, die zu der für 2. Oktober geplanten Abstimmung anreisen wollen. Bislang wurden ganz überwiegend mehr oder weniger bekannte Unterstützer der Separatisten präsentiert, etwa der italienische Journalist Vittorio Rangeloni, der polnische Fotograf Dawid Hudziec und Okay Deprem von der linken türkischen Tageszeitung Evrensel.

Die Vorwahlen, mit denen eigentlich das Kandidatenfeld für die spätere Wahl eingegrenzt werden sollen, stellen offenbar einen Versuch dar, eine Abstimmung abzuhalten, die nicht gegen das Minsker Abkommen verstößt: Das Abkommen sieht Lokalwahlen in den von der Regierung nicht kontrollierten Gebieten vor, allerdings ausdrücklich nach ukrainischem Recht. Dagegen versuchen beide “Volksrepubliken” seit Monaten vergeblich, Wahlen nach ihren eigenen Vorstellungen abzuhalten.

Mehrere Wahltermine wurden bisher gestrichen – offenbar auf Druck Russlands nach Protesten Kiews und seiner Verbündeten. Die Ukraine besteht unter anderem darauf, dass die Wahl erst stattfindet, wenn sie die Kontrolle über die Grenze zu Russland wiedererlangt hat.

Die ukrainische Regierung hat die Vorwahlen als Bruch des Minsker Abkommens verurteilt, und argumentiert, dass ihre Durchführung die Verhandlungen über die eigentliche Wahl blockiert.

Die “Volksmiliz” der “LNR” nimmt die umstrittenen Vorwahlen zum Anlass, um erneut vor “Provokationen” durch ausländischer Söldner in den ukrainischen Streitkräften zu warnen. Als Indiz dafür nennt Milizsprecher Oleg Anaschtschenko am 24. September eine Passage im Tagesbericht der OSZE-Beobachter vom 20 September, wonach die Beobachter zwei georgischsprachige Angehörige der “Georgischen Legion” im westlich von Luhansk gelegenen Troitske angetroffen haben. Anaschtschenko behauptet, dass die Regierungstruppen bis zu 200 Söldner für “groß angelegte Provokationen” einsetzen wollen, darunter Angehörige der türkischen nationalistischen Bewegung “Graue Wölfe”.

Die Militärsprecher beider „Volksrepubliken“ behaupten regelmäßig, dass ihre Verbände gegen Heere ausländischer Söldner kämpfen. Solche Aussagen sollen offenbar den Eindruck vermitteln, dass hinter dem Konflikt mit der Ukraine eigentlich die NATO-Staaten stehen, die ja auch die Regierung in Kiew “steuern” sollen.

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