Verfasst von Nikolaus von Twickel

Zusammenfassung

In der vergangenen Woche drehte sich in den “Volksrepubliken” der Ostukraine offiziell fast alles um die am Sonntag abgehaltenen “Vorwahlen“ (sog. Primaries). Die Veröffentlichung des niederländischen Untersuchungsberichts über den Abschuss des Malaysia-Airlines Fluges MH17 sowie deutsche Medienberichte über direkte Kanäle zwischen den Separatisten und Moskau spielten dagegen kaum eine Rolle. Die Umsetzung des vorige Woche ausgehandelten “Entflechtungsabkommens” mit den ukrainischen Streitkräften gestaltet sich schwierig.

 

Ausführlicher Überblick

  1. Primaries

Ziel der als “Primaries” genannten Abstimmung, die im wesentlichen auf die Städte Luhansk und Donezk beschränkt war, ist offenbar weniger das Ergebnis, sondern vielmehr die öffentliche Demonstration der Tatsache, dass man Wahlen abhält. So meldete die “Volksrepublik Donezk” (DNR), dass in 505 der 514 Wahlbezirken Mitglieder der gleichnamigen Partei “Republik Donezk” (offiziell handelt es sich um eine Bewegung, die auch das Parlament der “DNR” kontrolliert) als Sieger hervorgingen. Die restlichen neun Bezirke gingen an “Freier Donbass”, die einzig andere im Parlament vertretene Bewegung.

In Donezk wurde Amtsinhaber Igor Martynow mit 83 Prozent zum Sieger der Vorwahl zum Bürgermeisteramt erklärt. Martynow hatte vorher gesagt, dass er und sein Hauptkonkurrent, der örtliche Postchef Artjom Serdjukow, “eigentlich keine großen Meinungsunterschiede” hätten.

Da die “Vorwahl” ja nur das Kandidatenfeld für die eigentliche Wahl einschränken soll, ist das ein klares Signal, dass es außerhalb des herrschenden politischen Spektrums keine politische Aktivität geben kann.

Die “Volksrepublik Luhansk” (LNR) veröffentlichte zunächst kein Ergebnis und erklärte, dass die Auszählung andauert.

Führende Vertreter der Separatisten wurden nicht müde, die angeblich internationale Bedeutung der Abstimmung hervorzuheben. “Wir müssen zeigen, dass wir einen zivilisierten Rechtsstaat errichtet haben, der offene und gerechte Wahlen abhalten kann,” erklärte der Donezker Rebellenführer Alexander Sachartschenko.

Sein Luhansker Kollege Igor Plotnizkij behauptete, dass sich alle Beteiligten als “ebenbürtige Mitglieder der Weltpolitik” fühlen konnten und dass die Abstimmung ein weiterer wichtiger Schritt “zum Bau der Eigenstaatlichkeit” sei.

Die offiziellen Medien beider “Volksrepubliken” räumten in ihrer Berichterstattung viel Platz für Ausländer ein, die als “Wahlbeobachter” die Abstimmungen durchweg in höchsten Tönen lobten. In Luhansk befand sich darunter auch der deutsche Journalist Manuel Ochsenreiter, der Chefredakteur von “Zuerst”, ein von dem bekannten rechtsextremen Verleger Dietmar Munier herausgegebenes Magazin.

Vor den ausländischen Wahlbeobachtern bedankte sich Plotnizkij am Montag für deren Mut – der sei größer als der von US-Senator John McCain, der einer Einladung der “LNR” nicht gefolgt war: “Eure Wahrheit und Aufrichtigkeit sind unsere Waffe gegen die Pseudodemokratie und Doppelmoral des Westens,” sagte er.

Plotnizkij beschrieb die Abstimmung als Zeichen echter Demokratie nach mehr als 20 Jahren “sogenannter demokratische Wahlen” in der Ukraine, die er als “Theater” mit nach einem “vorab bekannten Drehbuch verteilten Rollen” bezeichnete.

Ukrainische Medien betonten, dass die Wahlbeteiligung trotz groß angelegter Kampagnen und billigen Lebensmittelangeboten vor den Wahllokalen in Donezk nicht sehr hoch war.  Die “DNR” veröffentlichte keine offizielle Prozentangaben zur Wahlbeteiligung, sondern teilte mit, dass 370,517 Stimmen abgegeben und mehr als 600,000 Wahlzettel gedruckt wurden – was einer Quote von knapp 62 Prozent entspricht.

Das Minsker Abkommen sieht vor, dass in den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten Lokalwahlen abgehalten werden, aber nach ukrainischem Recht. Die Separatisten, die mehrfach angekündigt haben, Wahlen nach ihren Vorstellungen abzuhalten, betonen, dass Vorwahlen im Einklang mit Minsk stehen, weil sie nur vorläufig seien. Die Regierung in Kiew bezeichnet die “Primaries” als Farce und warnt, dass sie den Friedensprozess gefährden.

 

2. “DNR” macht erneut die Ukraine für den MH17-Abschuss verantwortlich

Während die Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der internationalen Ermittler (JIT) zum Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 am 28. September im Westen sowie in Russland Schlagzeilen machte, kam dazu von der “DNR”-Führung nichts. Erst einen Tag später, am Donnerstag, erklärte Rebellenchef Sachartschenko, dass er nach wie vor die Ukraine für das Unglück verantwortlich macht. Allerdings ging er mit keinem Wort auf die Ermittlungsergebnisse ein, wonach das BUK-Raketensystem, mit der die Boeing abgeschossen wurde, von Russland in “DNR”-kontrolliertes Gebiet und wieder zurück gebracht wurde. Stattdessen sagte er lediglich, dass Kiew den Luftraum schließen hätte sollen. Sachartschenko machte sich lustig über die Videos des JIT (“Hollywood kann es besser”) und fügte hinzu, dass es eine richtige Untersuchung erst geben wird “nachdem wir (also die “DNR”) gesiegt haben.”

Um den Boeing Abschuss geht es auch in einem umfangreichen Leak, über den Die Zeit und das ZDF vergangene Woche berichteten. Darin werden 12,000 Emails des “DNR” Informationsministeriums ausgewertet, die bereits im Juli von der ukrainischen Aktivistengruppe “Mirotworez” (Friedensstifter) veröffentlicht wurden (was Zeit und ZDF nicht erwähnen). In den geleakten Mails geben Kreml-Experten (“Kuratoren”) den Separatisten Tipps und Anweisungen, wie Nachrichten und Meinungen im Sinne Russlands und der “DNR” beeinflusst werden sollen. Unter anderem ergeht der Rat, in öffentlichen Erklärungen darauf zu beharren, dass die Schuld bei der Ukraine liegt.

Zu diesen Leaks der „Mirotworez“-Gruppe, deren Arbeit unter anderem wegen der Veröffentlichung von Namen von in der “DNR” akkreditierten in- und ausländischen Journalisten auch von Reporter ohne Grenzen kritisiert wurde, hat sich die Rebellenführung nicht geäußert.

 

3. Das “Entflechtungsabkommen”

Bei der Umsetzung des sogenannten Entflechtungsabkommens zwischen Regierungstruppen und Separatisten gab es erhebliche Rückschläge. Das am 21. September in Minsk unterzeichnete Abkommen sieht vor, dass sich die gegnerischen Truppen in drei Pilotbezirken von der Front (“Kontaktlinie”) zurückziehen, um die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße zu verringern.

Das Abkommen sollte ab 1. Oktober umgesetzt werde. Bis Dienstag war dies aber nur im Raum Solote in der Oblast Luhansk geschehen. In Stanitsja Luhanska (Oblast Luhansk) und Petriwske (Oblast Donezk) beschuldigten sich alle Seiten (“LNR”, DNR” und Kiew), das Abkommen durch Beschuss zu zerstören. Der Streit soll an diesem Mittwoch (5. Oktober) die sogenannte Kontaktgruppe aus Ukraine, Russland und der OSZE in Minsk beschäftigen.

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